Copyright für Text und Fotos: Ing. (grad.) Horst-Dieter Hettler, Birkenweg 22, 56323 Waldesch
FRIED
FRIED. KRUPP
Maschinenfabriken
ESSEN
Schaden- Montage- Besuchs- Bericht Nr.:
vom
17.12.1962
Berichter:
Ing. Horst-D. Hettler in Essen
Kunde:
Griechische Staatsbahn in Athen
Haupt-Auftr.-Nr.
091 093
Objekt:
7 Diesellokomotiven
Type:
V 60 Fabr.-Nr. 4464 - 4470
Kunden-Betr.-Nr.
A 101 - A 107
Getriebe-Auftr.-Nr.:
Type L 37 zUb
Geliefert:
20.November 1962
Inbetriebnahme:
...
im Januar 1963
Die Griechische Staatsbahn, CEH abgekürzt, hatte unserer Firma einen Auftrag über 7 Verschiebe-Diesellokomotiven gegeben. Die Loks sollten bis auf wenige kleine Änderungen (Heizung und Sifa) den in bald 1000 Stück bei der Deutschen Bundesbahn erprobten V 60-Lokomotiven mit 650 PS entsprechen. Anfang November 1962 waren die ersten Loks fertig. Sie sollten einzeln mit eigener Kraft bis Salzburg gebracht und dort gesammelt werden, von hieraus dann in Güterzüge eingereiht bis Saloniki geschleppt werden.
Die endgültige Entscheidung fiel erst ziemlich kurzfristig am 19.11.: Ich hatte die erste Lok nach Salzburg zu begleiten, Abfahrt am 20.11. um 7:30 Uhr ab Werk. In nachfolgendem Bericht möchte ich nun meine persönlichen Reisebeobachtungen schildern.
Am frühen Morgen des 20. November 1962 fahre ich von Duisburg weg mit der Bahn nach Essen, dort holt mich unser Monteur Kern ab. Er selbst wird die 7. Lok begleiten und dann ein halbes Jahr in Griechenland bleiben. Gestern habe ich mir die Lok nochmal kurz angesehen und die wichtigsten Sachen mit Kern durchgesprochen, nun ist es 6:45 Uhr, und ich richte mich im Führerhaus häuslich ein. Das Vorwärmgerät läuft bereits, kurz nach 7 kann ich den Motor starten. Dann geht es aus der Halle, eine letzte Drehzahlkontrolle durch den Maybach-Monteur, der Rangierer der Kruppschen Eisenbahn kommt, Händeschütteln und ich bin allein, zum ersten Mal völlig selbständiger Herr über eine Lokomotive! Ich denke an den Jugendwunsch, Lokführer zu werden, nun ist er doch noch in Erfüllung gegangen! Wir fahren über die Werksgleise -bis zur Bundesbahn-Anschlussstelle, der Rangierer verlässt mich und ich muss warten. Die Viertelstunde kommt einem so lang vor! Um 8 Uhr erscheint dann ein Weichenwärter der DB, schließt die Weichen auf und hinter mir wieder zu. Wir fahren in den Bahnhof Essen-Nord bis zum Ausfahrsignal. Nach kurzer Zeit taucht der Lotse der DB mit zwei Herren der CEH auf, Abnahmebeamte, die uns bis Köln begleiten wollen.
8:27 Uhr, Hp2, freie Fahrt mit 40 km/h bis zur 1etzten Ausfahrweiche, dann gehe ich auf 60, unsere Höchstgeschwindigkeit. Auf Hinterwegen durchs Ruhrgebiet. Der Lotse sagt mir die Signalstellungen an und ich wiederhole sie. Ich kenne sie zwar auch selber, aber wenn man es so macht, passiert es nicht so leicht, dass man sich fragt, "war das Vorsignal nun auf Halt oder Frei?" Manchmal kann man sich auch umdrehen und zurückblicken, das geht aber nur bei Formsignalen, die neuen Lichtsignale leuchten nach hinten nicht mehr.
Mülheim/Ruhr, am Hundefriedhof an der Autobahn vorbei nach Duisburg-Wedau. Halt. 9:10 weiter nach Köln-Kalk. Dort verlassen mich Lotse und Begleiter und ein neuer Lotse kommt, der zwar streckenkundig ist, aber keine Diesellok fahren kann, wie er erzählt. Kurz darauf kommt dann noch ein Lokführer, der aber nicht streckenkundig ist. Er ist froh, dass ich fahre. Komisch, bis Dillenburg bekomme ich als Lotsen Diesellokführer, da ich offiziell auf der DB nicht selbst fahren darf. Von den restlichen 5 Lotsen bis Salzburg kann dann nur noch einer Diesellok fahren, so dass ich sowieso selbst fahren muss. Irgendwo stimmt da was nicht!
11:55 - endlich Ausfahrt in Köln-Kalk. Bei Troisdorf geht es auf die Siegstrecke, die landschaftlich sehr schön ist. Um 13:35 kommen wir in Betzdorf an und fahren ins BW auf die Drehscheibe, da die Lok bisher verkehrtrum stand und ich mich jedesmal nach den Instrumenten umsehen musste. 13:50 geht es schon weiter, mit dem 3. Lotsen. Wir fahren die Westerwaldstrecke über Haiger, die ihren höchsten Punkt bei 422 m hat. Hier oben ist schon alles verschneit. Runter geht es nach Dillenburg, wo mich schon ein neuer Lotse erwartet. Weiter um 15:15 nach Herborn - Wetzlar - Gießen. Von Gießen bis Friedberg fahren wir auf der neuen Selbstblockstrecke, das heißt, dass sich die Lichtsignale nach der Vorbeifahrt des Zuges automatisch auf Halt stellen und ebenso automatisch nach dem Durchfahren des nächsten Blockabschnittes wieder auf grün springen. Die Grundstellung ist hier übrigens "grün"! Es ist interessant, wenn man vor sich im nächsten Blockabschnitt die Schlusslichter eines mit 25 km/h den Berg raufkriechenden Güterzugs hat und hinter sich schon die Scheinwerfer der nächsten Lok sieht. Es ist schon dunkel, als wir über Hanau um 18:25 in Aschaffenburg einfahren. Beim Stellwerk halte ich kurz und gebe an, dass wir ins BW wollen. In der dortigen Fachsprache hört sich das dann so an: "LZ 19 812 von Essen, in's Haus." LZ 19 812 ist unsere Zugnummer bis Salzburg, LZ heißt Lokzug und mit Haus ist der Lokschuppen gemeint. Weichen - Signale - vorsichtig auf die Drehscheibe und ins Haus. Ich mache mich fertig und gehe auf die Lokleitung. Dort will man mich eigentlich noch nach Würzburg weiterschicken, ich bin aber schon mehr als 12 Stunden auf der Lok - die Grenze bei der DB - und kann übernachten. Dort heißt es dann: "Na machst halt a' Bett." Ich esse noch in der Kantine und verkrümele mich dann in die Lokführer-Unterkunft vom Bundesbahn-Sozialwerk. Inzwischen ist es kalt geworden und fängt an zu schneien, ich freue mich schon auf die morgige Strecke.
21.11. Um 6:30 Uhr sollte ich geweckt werden, um 7 werde ich wach. Schnell in die Sachen und runter zum Hausmeister, abmelden. "Ja, Du solltest doch noch schlafen, da ist doch ein Achsenbruch auf der Strecke". Das kann ja heiter werden! Jedenfalls gehe ich erst mal ins BW, die Lok muss auch noch vorgewärmt und abgeschmiert werden. Auf der Lokleitung sagt man, ich soll mich bereit halten, vor 11 Uhr wäre nichts zu machen, die Strecke ist immer noch blockiert. Also gehe ich alle Stunde wieder hin. Um 11 heißt es dann, ein Gleis sei frei und ich soll mit zwei anderen Loks zusammen fahren, aber nicht vor 12 Uhr. Mit den anderen beiden Lokpersonalen esse ich in der Kantine, wir sollen gerufen werden, wenn's so weit ist. Nachdem nichts geschieht, gehen wir um 15 Uhr rüber und erhalten den Auftrag, als LZ 5170 zu fahren und uns fertigzumachen. Meine Lok zuerst, dann zwei Schnellzug-Dampflokomotiven, die 01 182 und die 03 222. Beide sind zwar nicht für Dauerfahrten mit 60 km/h gebaut, aber die Lokpersonale sind froh, wenigstens nach Hause zu kommen. Wir stehen zusammengekuppelt auf einem Stumpfgleis vorm Signal und warten. Inzwischen fängt es kräftig an zu schneien, die Weichen lassen sich auf einmal nur noch schlecht oder garnicht mehr stellen, da der Schnee sie verstopft hat. Darauf war man am Buß- und Bettag noch nicht vorbereitet. Um 17:45 kommt dann das erlösende Signal: zurück zum Schuppen. Die zweite Nacht in Aburg, wie es bei den Eisenbahnern heißt. Da man mir sagt, ich könne gegen 2 Uhr nachts losfahren, schlafe ich auf der Lok im Schlafsack. Gut, dass ich meine Luftmatratze dabei habe!
22.11. Um 6 Uhr weckt mich ein Klopfen an die Tür, es ist ein Lokführer, der mir sagt, dass ich mich fertigmachen soll. Wir müssen zusammen fahren, er hat eine Ellok und fährt vorne, so brauche ich keinen Lotsen. Zur Erklärung muss ich dazu sagen, dass Dampfloks wegen der Verschmutzung der nachfolgenden Fahrzeuge immer hinten fahren sollen, wenn es sich um einen LZ handelt. 7:05 geht es los. Ich habe mein Getriebe ausgeschaltet und lasse mich von der E 50 049 ziehen, übrigens auch einer Krupp-Lok. So habe ich Ruhe, die Fahrt durch das schöne Maintal zu genießen. Am Flussrand ist stellenweise eine leichte Eisdecke zu sehen, einige Schiffe sind unterwegs. So langsam weicht der Dunst, und die Sonne lässt sich etwas blicken. Wir kommen gut durch und sind schon um 9:40 in Würzburg. Zwischendrin kann ich noch den Unglückswagen sehen, der uns gestern aufgehalten hat. Ein ungarischer Kesselwagen mit Sonnenblumenöl, eine Achse war direkt am Rad durch Heißlaufen des Lagers abgebrochen. Eine Stunde später geht's nach Nürnberg weiter. Am Stellwerk, wo wir uns abmelden, heißt es: "18 754, Abstand 692". Man hört sowas auch öfters durch die Lautsprecher an Bahnsteigen. Uns sagt es, dass wir nach dem Fahrplan 18 754 im Abstand hinter dem Eilzug 692 abfahren. Mir war's auch neu. Über Fürth kommen wir um 13:05 nach Nürnberg-Hbf und lassen uns auf's Abstellgleis am Kopfende von Bahnsteig 1 stellen. Zur Kantine sind es nur 100 Meter, günstiger ging's nicht. Gestaunt habe ich allerdings, dass man am Stellwerk so einfach sagen kann, wo man hin will. Immer klappt's allerdings nicht. Um 14 Uhr geht es dann weiter mit neuem Lotsen, auf die Fernsteuerstrecke nach Regensburg. Auf dieser Strecke werden alle Signale und Weichen von einem zentralen Gleisbildstellwerk in Nürnberg gesteuert und der Fahrdienstleiter kann so jederzeit sehen, wo seine Züge stecken und den Verkehr dadurch besonders flüssig gestalten. Wenn man schneller fahren soll, erscheint am nächsten Signal ein nach oben weisender Pfeil, oder der Aufsichtsbeamte am nächsten Bahnhof zeigt die "K"-Scheibe: kürzeste Fahrzeit. Das heißt aber nicht, dass ich meine Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h überschreiten soll. Entsprechende Signale gibt es auch für längere Fahrzeit. Neumarkt - Parsberg - Regensburg. Von Parsberg aus rufe ich meinen Chef in Essen an und melde ihm den Verlauf der Fahrt. Die Zeit reicht gerade, dann haben wir wieder freie Fahrt. Langsam wird es dunkel, schade, denn das letzte Stück der Strecke ist wunderschön. Mein Lotse erklärt mir alles und schwärmt von den Wanderungen in dieser Gegend. In Regensburg bin ich 11 Minuten, um 16:31 geht's schon weiter mit neuem Lotsen nach Landshut. Es ist fast Nacht, nur noch die Signale leuchten uns entgegen. In Landshut lassen wir uns gleich ins BW leiten und, da es noch früh ist, mache ich die Lok gleich fertig. Der Abend wird dann sehr nett, denn ein Semesterfreund aus der Münchner Studienzeit wohnt hier und holt mich ab. Und spät wird's auch!
23.11. Geweckt werde ich hier durch Telefon von der Lokleitung aus, ganz vornehm. Um 7:08 geht's dann auf der eingleisigen Strecke durch eine schöne Gegend nach Mühldorf am Inn, dort sind wir dann um 9:38 Uhr. Lotse ist Lokführer Stangl, der mich auch das nächste Mal und schon ab Regensburg begleitet, wo er mich noch nachts um 22:15 erwartet hat. In Mühldorf haben wir gut Zeit, in der Kantine eine bayrische Brotzeit mit Weißwürsten und einer Maß Bier zu halten. Das schmeckt! 11:14 geht's weiter, wieder eingleisig. Viel Wald liegt zu beiden Seiten und außer Hasen und Rehen können wir Rebhühner und Fasanen beobachten. 12:50, Freilassing. Schnell bekommen wir Ausfahrt und sind nach 10 Minuten schon in Salzburg. Ausnahmsweise mal ohne Schnürlregen, dafür ist aber alles weiß. Vor dem Bahnhofsgebäude verlässt mich der Lotse, ich übergebe meine Frachtpapiere und melde mich beim Aufsichtsbeamten. Nach einigen Telefonaten erklärt er, dass die Lok beim BW abgestellt werden soll und sagt, ich solle hinter fahren. So fahre ich durch Salzburg-Hbf, von Signal zu Signal, bis ich auf einem Abstellgleis vor dem "Heizhaus I" stehe. Bei uns wäre sowas ohne Lotsen unmöglich gewesen! Nach dem Mittagessen mache ich die Lok fertig, das Kühlwasser muss des Frostes wegen abgelassen werden, dann packe ich meine Siebensachen. Am nächsten Morgen geht's zurück nach Essen, denn ich muss noch zwei weitere Loks hierher bringen, eh's nach Griechenland geht.
Am 6. Dezember ist es dann endlich soweit. Gestern bin ich hier in Salzburg mit meiner 3. Lok angekommen, heute Mittag kam Kern mit der letzten Lok, und nun, um 15 Uhr, sind wir gerade mit den restlichen Vorbereitungen fertig geworden. Die Bremsen sind ausgeschaltet und geprüft und sämtliche Lager abgeschmiert. Alle 7 Loks werden von einer Stiefschwester von der ÖBB zum Güterbahnhof Salzburg-Gnigl geschleppt, dort stehen wir dann erst einmal wieder. Die drei ersten Loks, die ich begleiten werde, sollen um 18:24 mit dem 1977 abgehen. Wir haben noch genug Zeit, um Großeinkauf zu machen. Brot, Wurst, Getränke und fertige Mahlzeiten in Konserven. Und natürlich auch österreichischen 80%igen Rum, bei dem einem so schön die Lippen brennen. Es ist schon 19 Uhr, da werden meine drei Loks vor einen Zug gesetzt. Davor spannt sich die E 94 135, jetzt heißt sie allerdings ÖBB-Baureihe 1020. Mit einer guten Stunde Verspätung geht es dann los. Die Kameraden winken zum Abschied, wer weiß, auf welchem Güterbahnhof wir uns wieder treffen werden? Da wir die nun kommende Strecke nach Bischofshofen - Bad Gastein - Spittal - Villach - Rosenbach leider im Dunkeln zurücklegen, blase ich meine Luftmatratze auf und krieche in den Schlafsack. Der Petroleumofen verbreitet noch wohltuende Wärme, doch bald schon wird es kühl. Die Scheiben bekommen Eisblumen, und ich stopfe mehrere Ritzen mit Lappen zu. Draußen ist eine kristallklare Nacht, der Halbmond sieht auch ab und zu herein. Obwohl ich auf der dritten Lok hause, erleuchtet der Funkenschweif der beiden Stromabnehmer der Ellok auf der bereiften Fahrleitung das ganze Führerhaus. In Bischofshofen steige ich nochmal aus und kontrolliere die Achs- und Stangenlager der Loks, alles ist normal. Aber nun bekommen mich keine 10 Pferde mehr raus, es sind mindestens 15° minus draußen! Und auch durch die Luftmatratze kommt von unten so langsam die Kälte durch. Ich ziehe die Beine an und versuche zu schlafen, aber die Schienen der Tauernbahn sind noch nicht durchgehend verschweißt, die Fahrt ist ziemlich rauh, und aus dem Schlaf wird ein Schlummern in Etappen. Nachts um 3 sind wir an der Grenze in Rosenbach, nach einem längeren Halt dann um 6 Uhr in der jugoslawischen Grenzstation Jesenice. Ich gebe meinem Ofen wieder frische Nahrung und krieche nochmal in den Schlafsack. Nach langer Zeit kommt dann ein Zöllner und stempelt meinen Pass ab, sonst will er nichts wissen, eine Kontrolle der Loks findet nicht statt. Ein Eisenbahner meint, dass es um 11 Uhr weitergeht. Doch nach drei Wochen auf der Lok ist man das Warten nun schon gewöhnt. Langsam wird es hell, der Hunger meldet sich, und ich frühstücke. Die Milch wird auf dem Ofen warmgemacht, auch zum Brotrösten eignet er sich prima. Zur Morgenwäsche hole ich mir einen Eimer warmes Wasser am Bahnhofsbuffet, eine Flasche Sliwowitz muss auch noch mit. Langsam wird es 11 Uhr, ich bin schon zweimal rangiert worden, da entdecke ich in einem einfahrenden Zug die nächsten beiden Loks. Und kurze Zeit später klopft Monteur Schwibbe an meine Tür. Ich habe garnicht gemerkt, dass man seine Loks mit an meinen Zug gehängt hat. Ein doppelter Sliwowitz zu märchenhaft billigem Preis beschließt die lange Trennung und zu fünft fahren wir dann um 12:35 los, mitten in einem langen Güterzug, geschleppt von einer schnaubenden Dampflok.
Das erste Konserven-Mittagessen schmeckt prima, Schwibbe ist dabei um eine Erfahrung reicher geworden - auf seiner Büchse stand nämlich, dass man den Inhalt mit der gleichen Menge Wasser verlängern soll - bloß woher den Topf nehmen? Es hat ihm auch so geschmeckt.
Nach einer guten halben Stunde Fahrt durch ein wunderschönes Tal mit der Kulisse der schneeweißen Berge im Hintergrund bleiben wir auf einem kleinen Bahnhof stehen, die Lok spannt ab und fährt alleine weiter. Irgendetwas wird wohl kaputt sein. Eine oder zwei Stunden, wer weiß? Vor uns ein Hügel, an dem sich die Dorfjugend im Skilaufen übt. Und schon kommen ein paar Buben mit ihren Skiern an. Wir verstehen uns zwar nicht, aber die deutschen Bonbons schmecken ihnen auf jeden Fall. Mehrere Schlitten sind auch da und ich nehme die Gelegenheit wahr und rodle mit den Jüngsten. Anschließend noch ein kleines Sonnenbad, Wärme tanken für die Nacht. Und dann geht es auf einmal wieder weiter, genau zwei Stunden hat's gedauert. Nächster Halt ist Laibach-Süd. Wieder eine Stunde. Mehrere Jugoslawen besuchen mich auf dem Führerstand, sie sprechen etwas deutsch. Vorsichtig komme ich auf die Politik. Man hält eine Zusammenarbeit mit West für wichtiger als mit Ost. Aber sonst sagen sie zu diesem Thema nichts. Wir kommen nach Laibach-Hbf und stehen wieder, nun ohne Zuglok. Ich esse etwas und lege mich hin. - Durch Rangierstöße werde ich wach, es ist 21 Uhr, immer noch Laibach. Seit heute früh haben wir erst 72 km hinter uns gebracht, wenn das so weitergeht! Es scheint hier nicht mehr ganz so kalt zu sein, aber Frost ist immer noch.
8.12. Mitten in der Nacht wache ich auf, wir rollen seit 22 Uhr, wie mir der Fahrtschreiber am nächsten Morgen sagt. Ich sehe auch, dass wir zwischen 1:40 und 3:50 Uhr irgendwo standen, dass es Zagreb war, merke ich erst später. Um 8 stehe ich auf und frühstücke gemütlich. Wir fahren. Das Land draußen ist weiß, der Himmel grau verhangen. Die breiten Gräben längs des Bahndammes sind zugefroren. Mehrere Wiesen waren überschwemmt und das zurückgebliebene Eis bildet bizarre Formen, da es nur noch an Sträuchern hängt und sich das Wasser darunter schon verlaufen hat. In Novska bleiben wir mal wieder stehen. Gut, dass es in Jugoslawien noch Dampfloks gibt, so können wir uns am Wasserkran unsere Eimer füllen und uns anschließend waschen. Ein Eisenbahner sagt etwas von 10 Minuten Halt. Schnell den Arbeitsmantel und die Handschuhe her, dann geht's gemeinsam an's Abschmieren der Stangenlager. Ich öffne und schließe sie, während Schwibbe mit der Ölkanne kommt. Die Loks stehen günstig, nur zwei Kuppelstangen stehen im oberen Totpunkt, hier kommen wir schwer ran und heben sie uns für später auf. - Und schon geht's wieder weiter. - Das Waschen tut gut, zur Unterhaltung trägt Radio Belgrad mit westlichen Schlagern bei. Und dann wieder Gegend. "Gegend" sage ich immer, wenn alles eben ist, so weit der Blick reicht. Maisfelder, zum Teil nur noch an den Stoppeln erkennbar, vereinzelt stehen noch abgeerntete Stauden und lassen ihre trockenen Blätter wie Arme in den Wind hängen. Die kleinen Dörfer am Bahndamm sehen ärmlich aus, die Häuser sind größtenteils unverputzt, davor ein runder Brunnen, überdacht und umgittert, mit einem alten Wagenrad als Kurbel. Die Lehmwege sind ausgefahren, das Hauptverkehrsmittel ist neben der Eisenbahn - die -Züge sind immer voll - der Pferdewagen. Wieder ein Bahnhof, wir fahren durch. Die Leute, die auf den Personenzug warten, staunen uns nach. Vor dem Gebäude warten mehrere Pferdekutschen auf ankommende Passagiere, die Dörfer liegen alle ziemlich weit abseits. Woanders kann ich einen Pferdemarkt entdecken, ich nehme jedenfalls an, dass es einer ist, da es nur so von Gespannen und Pferden wimmelt. Am Bahndamm entlang treibt eine Frau ihr schwarzes Schweinchen, eine Schnur um's linke Hinterbein hindert es am Ausreißen.
Auf einmal ist der Schnee weg, das macht das ganze Bild noch trüber. Wir kommen nach Slawonski Brod, Lokwechsel. Die beiden noch nicht abgeschmierten Kuppelstangen stehen wie erhofft - und schon sind wir fertig. Für die nächsten 500 km haben wir nun wieder Ruhe. Nur zwei Lager werde ich mir nochmal vornehmen, da war das Öl etwas schaumig. Wir haben noch Muße, die Leute zu studieren. Die Frauen tragen meist dunkle Kleider mit langen weiten Röcken, ab und zu mal eine farbige Schürze. Bei manchen sieht man auch selbstgefertigte Schuhe, die man an der nach oben gebogenen Spitze erkennt. Eine Frau balanciert geschickt einen Korb auf dem Kopf, auch sie hat ein dunkles Kopftuch umgebunden. - Die Männer sind meist in Mäntel gehüllt, tragen Pelz- oder Schirmmützen, auch Hüte. Fast alle haben Stiefel an. - Doch es geht weiter, 12:55 ist's. In einem Vorgarten hängen zwei geschlachtete Schweine, und man ist fleißig bei der Arbeit. - Vor einer Schranke warten zwei Frauen, die eine hält unter jedem Arm ein Huhn. Balkan. So langsam bekomme ich Hunger und mache eine Büchse Eierravioli warm, es schmeckt prima. Die Landschaft wandelt sich etwas, mehrere Eichenwälder ziehen vorbei, dann wieder Steppe, ab und zu steht ein Ziehbrunnen am Rande. Öfters sehe ich zinnenbewehrte Türme am Bahndamm stehen, teils gemauert, teils aus Beton. Sie sind verlassen. Um 14:40 kommen wir auf einem Rangierbahnhof an und landen nach mehrmaligem Rangieren auf einem Ausfahrgleis. - Im Radio höre ich deutsche Stimmen, es ist Radio Bukarest mit einer Sendung für die Deutschen im Banat. Es dreht sich um gute Leistungen in einer Genossenschaft, dann folgen Wiener Walzer. - Wo sind wir eigentlich? Belgrad ist es nicht, also kann es nur Vinkovci oder Indije sein, die Antwort eines Rangierers verstehe ich leider nicht. Ist ja auch egal! Inzwischen ist es dunkel geworden, ich habe mit Schwibbe einen kleinen Schwatz gehalten und sehe nun am Leitungsmanometer meiner Lok, dass wieder Luft da ist, folglich ist eine Lok vor. Das eben Gesagte geschah gegen 17:30, jetzt ist es schon eine Stunde später, und wir stehen nur eine Zuglänge weiter im selben Bahnhof. Inzwischen habe ich gegessen, die restlichen Ravioli und zwei Scheiben Toast. Der "Petromax" ist wirklich toll! Ab und zu donnert eine amerikanische Diesellok mit einem Personenzug vorbei, ihr großer, typisch amerikanischer Scheinwerfer bohrt sich tief in die Nacht, ihr Horn hört sich an wie das eines überdimensionalen Straßenkreuzers. Bei den jugoslawischen Eisenbahnern heißt sie übrigens "John Kennedy". Auf dem Nachbargleis rangiert ein kleines Dampflokomotivchen, vorhin habe ich "Hanomag 1922" am Tender gelesen. Dann faucht wieder eine schwere Güterzuglok vorüber, sie kommt mir sehr bekannt vor. Ihre Baureihennummer "33" kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich dabei um eine deutsche Kriegslok der Baureihe 52 handelt. Bei uns gibt es vielleicht noch zehn Stück davon, hier findet man sie dutzendweise. Ich weiß immer noch nicht, wo wir sind. Meine Gedanken schweifen nach Hause, heute ist Samstag. Ein Ruck, es geht los. 18:40. Wir kommen in den Personenbahnhof. Ein Schienenbus steht abfahrbereit, die gleiche Bauart wie bei uns. Lizenzbau. Er ist gesteckt voll, ein paar Arbeiter spielen Karten. Da - das Bahnhofsschild: "Vinkovci". Ich kann es gerade noch entdecken. Dann umgibt uns stockdunkle Nacht und ich lege mich hin, denn an Lesen ist bei diesem Geschaukel nicht zu denken.
22 Uhr, eben sind wir in Belgrad angekommen. Die eisige Kälte, die trotz der Heizung an meinem Fußende über das Gesicht zog, hat mich geweckt. Man müsste einen halben Meter höher schlafen können, dort ist es mollig warm. Unsere Lok am anderen Zugende ist fort, ich merke es, als ich zufällig mit dem Arm ans Bremsventil komme. Die letzte Luft entweicht mit leisem Zischen. Ich staune, dass wir schon hier sind, mehr als 2/3 des Wegs liegt bereits hinter uns. Nebenan auf der Straße fährt eine Trambahn, sie scheint ebenfalls aus den USA zu stammen und wurde durch irgendeine Stillegung hierher verschlagen. Sonst ist nichts zu sehen, so will ich die Ruhe ausnutzen und weiterschlafen.
9.12. Das dumpfe Rumpeln einer Brücke weckt mich auf. Unten fließt die Morawa. Zu beiden Seiten des Schienenweges, der nun schon lange wieder einspurig ist, ziehen sich leichte Hügel hin. Überall auf den festgefrorenen Feldwegen gehen Leute mit Säcken und Körben bepackt zum Markt. Anders kann des Rätsels Lösung nicht aussehen, denn eine Kirche ist nirgends zu entdecken. Die kleinen Häuschen mit dem Walmdach liegen vereinzelt oder in Gruppen zusammen, ein paar Sträucher und Bäume dabei, manchmal eine kleine Scheune und natürlich ein Schuppen oder Verschlag für Hühner, Enten und Schweine. Vielfach stehen auch noch große Haufen von Maisstroh im Hof. Auch hier sind die meisten Häuser unverputzt, nett angelegte Gärten, Wege und Zäune sind eine Seltenheit. Para´cin, ein kleiner Bahnhof. Wir fahren durch. Eine Schmalspurbahn endet hier, ihr Fahrzeugpark sieht aber garnicht nach Bimmelbahn aus. Wie ich aus der Karte sehe, geht sie nach Prahova an die Donau, an der bulgarische Grenze entlang. Irgendwo ein Friedhof mit vielen Grabsteinen, auch er sieht ungepflegt aus. Dafür hat er aber eine kleine Kapelle. Ein alter Mann steht an Wegrand und winkt, er trägt eine hohe Pelzmütze, eine Joppe, enge Hosen und selbstgefertigte, spitz nach oben gehende Schuhe. Um 9 Uhr wechsle ich bei meinen drei Loks die Tachographenscheiben aus. Der Fahrtwind pfeift mir ordentlich um die Ohren, während ich nach vorne klettere. Gut, dass die Rangiertritte an den Loks so nah beieinander liegen, denn die "John Kennedy" vor unserm Zug fährt mit 60 Sachen und hält nur bei Zugkreuzungen. - Da kommt schon eine. Das Ausfahrsignal zeigt Halt. Den kleinen Brunnen neben dem Stationsgebäude habe ich schon entdeckt und fülle unsere Eimer für die Morgenwäsche. Rasiert wird schon seit vier Tagen nicht mehr. Es ist ja auch niemand da, der sich darüber beschweren könnte. Beim Frühstück gibt es dann eine kleine Panne. Ich habe noch gefrorene Tütenmilch aus Salzburg, sie taut auch schön auf und wird auf dem Gitterrost warm, aber plötzlich platzt eine Kante auf. Kann gerade noch alles retten, nur der Ofen muss geputzt werden. Ein Warmmachen im Henkelmann wäre bei dieser Schaukelei aber auch nicht sicherer gewesen. Die Hügel zu beiden Seiten rücken näher und bilden ein enges Tal. Mitten drin die Morawa. Stala´c heißt der Ort am Taleingang, hoch oben muss früher mal eine wuchtige Burg gewesen sein, heute zeugt nur noch eine Turmruine davon. Neben der Bahn ein kleines Kirchlein, das erste, was ich heute sehe. Es schmiegt sich eng an die Felswand. Das Tal macht viele Windungen, langsam wird es auch wieder weiter. Ab und zu sehe ich kleine Wäldchen, sonst nur weite Felder. An vielen Stellen stehen zimmergroße, lehmverschmierte Haufen, einer ist geöffnet und ich sehe, dass hier die Ziegel noch selbst gebrannt werden1 - Bei einem Haus ist man dabei, den Dachstuhl zu zimmern, aus rohen Baumstämmen, die direkt neben der Baustelle behauen werden. Kein fertiger Balken ist zu sehen. Nochmal fahren wir über die Morawa und halten in einem Güterbahnhof. "Popovac" lese ich, es muss kurz vor Ni´`s sein. Vor uns ein solide gebautes einstöckiges Haus, bei uns würde es vier Familien Platz bieten. Aber hier komme ich mit dem Zählen nicht mehr mit, 10 Parteien sind es bestimmt. Vor der stark renovierungsbedürftigen Vorderfront die obligatorische Wasserpumpe, rechts die Schweine- und Geflügelställe. Zwei von den Vierbeinern mussten heute dran glauben.
Zum Glück war es bereits geschehen, als wir ankamen. Aber die restliche Verarbeitung müssen wir mit ansehen. Das ganze Haus hilft mit, es wird Wasser gepumpt, gebrüht und zerlegt. Das meiste Fleisch wandert in eine Holzwanne zum Einpökeln. Heute abend gegen 19 Uhr soll es weitergehen. Das hat aber bestimmt nichts damit zu tun, dass heute der 2. Adventssonntag ist. Inzwischen haben wir unsere Loks abgeschmiert und machen dann auch Sonntag. Mit der Nagelfeile als Schraubenzieher nehme ich mein Radio auseinander und bandagiere das gesprungene Schaltrad, nun spielt es wieder. Das Mittagessen hat gut geschmeckt, Huhn gab's, auch aus der Büchse. Bis eben konnte ich noch sehen, wie nebenan die beiden Schweine verarbeitet wurden, nun sind wir wieder 50 Meter weitergerollt, und um uns herum sind nur Güterwagen. Inzwischen ist es dunkel geworden, wir stehen wieder auf einem anderen Gleis. Weiter weg sehe ich viele Lichter, das wird wohl Ni´`s sein. Bei unserm Orient-Express kann man sich nun aber leider mal nicht aussuchen, wo er stehen bleiben soll! Tags fahren und nachts stehen wäre schöner!
Daheim wird jetzt die zweite Kerze am Adventskranz angesteckt! Und hier? Man merkt lediglich an der Langsamkeit des Güterverkehrs, dass Sonntag ist. Vielleicht auch daran, dass alle soviel Zeit haben, sich am Schlachtfest zu beteiligen. An der Kleidung, jedenfalls merkt man es nicht. Übrigens, die Kleidung: Die Eisenbahner, mit denen ich nun am meisten in Berührung komme, haben auf dem Kopf ihre blaue Dienstmütze mit dem Flügelrad vor einem roten Stern. Nur der Stationsvorsteher hat wie bei uns eine rote Mütze. Er trägt auch einen sauberen dicken Mantel, meist mit Pelzkragen. Die Lok- und Zugführer sind ebenso ausgerüstet, aber alle übrigen tragen ein Sammelsurium von abgewetzten Sachen, meist in Stoff, seltener in Leder. Aufgerissene Schultern und durchgewetzte Ellenbogen gehören zur Alltäglichkeit. Jugoslawien gehört nun mal eben nicht zu den reichen Industrieländern. Auch über den Rangierbetrieb hier ist etwas zu sagen. Es gibt ein einziges Ausfahrsignal für 15 Gleise. Meist ist es offen, die Weichen werden währenddessen nach Zuruf durch den Aufsichtsbeamten von Hand gestellt. Eine Sicherung oder Verriegelung ist nicht vorhanden, ein bei uns unvorstellbares Ding. Personal ist eben billig und passieren wird schon nichts! Dazu muss ich aber auch sagen, dass die Hauptstrecken teilweise schon mit elektrischen Lichtsignalen mit automatischer Rückstellung ausgerüstet sind.
Wie lange werden wir wohl noch brauchen? Unser Heizpetroleum reicht noch für zwei volle Tage, bis dahin, Dienstag, müssten wir eigentlich in Thessaloniki sein. Das Zeug, was Schwibbe vorgestern einhandelte, gefiel seinem Ofen ganz und garnicht, er stank und spuckte. Aber die Kälte hat zum Glück nachgelassen, doch ist auch hier noch Frost. - Gut, dass wir so viel Wellpappe als Unterlage für die Luftmatratzen mithaben, es hat sich nämlich gezeigt, dass eine Schicht auf der Luftmatratze die Kälte von unten ganz erheblich abschirmt. Kurz nach 19 Uhr fährt endlich die Dampflok vor den Zug.. Ein Bremser kommt vorbei und schaut bei mir herein. Er spricht etwas deutsch und will wissen, was mein Ofen kostet, er könne ihn für sein Bremserhaus gut gebrauchen. Dabei erfahre ich, dass er pro Tag 1000 Dinar verdient, das sind ungefähr 7 Mark, Meine Zigaretten schlägt er allerdings aus, vielleicht sind seine besser? 19:45. Endlich fahren wir, wenn auch langsam. Wir sollen gegen 6 in Skopje sein, das sind bloß 200 km. Aber es geht bergauf, im Tal der Morawa lang. Inzwischen ist auch alles wieder weiß geworden und der Mond scheint durch die dünne Wolkendecke. So kann ich wenigstens noch etwas sehen, ehe ich in's Bett gehe.
10.12. Um 8 Uhr bin ich aufgestanden, nun stehen wir auf einem Bahnhof vor Skopje. Seit gestern abend nur 203 km! Trostlose Gegend, vom Ort ist nicht viel zu sehen, gegenüber eine gut ausgestattete Traktorenstation, einige frierende Soldaten. Wir werden etwas rangiert und wieder viel bestaunt. Ich hole Wasser, während Schwibbe sich schon seit 6 Uhr abmüht, seinen verschmutzten Ofen wieder in Gang zu bringen. - Nun geht er endlich wieder. Wir fahren durch Skopje durch, einige große Häuser, das Zentrum muss woanders sein. Zudem ist es sehr dunstig. Aber viel Industrie ist hier - und dann wieder freie Strecke. Auf einmal rücken die Berge wieder näher, da ist ein Fluss, der in die Ägäis fließt, ihm folgen wir, und die Fahrt wird wieder schneller, für hiesige Strecken ist 50 schon schnell! Statt Pferdewagen sieht man hier hochbepackte Eselchen, die gemächlich dahertrotten. Oder sie stehen festgebunden vor irgend einem kleinen Bahnhof und lassen den Kopf hängen.
Das Tal wird immer enger und tiefer. Eben noch hatte die neue Straße neben uns Platz gehabt, nun ist sie in die Höhe verschwunden. Ein Tunnel, wir schneiden eine Flusswindung ab. Der Tunnel ist neu, früher fuhr man außen herum, ich sehe noch die Reste der vermutlich durch Hochwasser zerstörten Brücke. Jetzt meint man, im Wilden Westen zu sein. Kahle Hänge, die nur Nahrung für etwas Gestrüpp bieten. Unzählige Kurven. Auf der anderen Flussseite entdecke ich hoch oben die neue Straße, die Tito sich etwas kosten lässt. Mehrere große Betonbrücken überspannen die Taleinschnitte, teilweise wird noch daran gebaut. Eine kleine Kreuzungsstation kommt und wir halten. Ein Güterzug und der Express von Saloniki sind schon vorbeigedonnert, aber anscheinend kommt noch ein Zug. Auf der anderen Flussseite grasen einige Jungrinder zwischen den Sträuchern und Schneeflecken. Dass es da überhaupt noch etwas zu fressen gibt! Wir fahren wieder, es ist genau 12 Uhr. Zinzifov hieß der kleine Ort. - Das Tal wird noch enger. Drüben wieder mehrere große Brückenbaustellen! Das reizt einen direkt, die neue Straße später einmal mit dem Wagen zu fahren1
Titov-Veles. Ein größerer Ort am Rande eines riesigen Talkessels. Hier sieht alles etwas sauberer aus. Wie überall strömt auch erstmal das ganze Bahnhofspersonal zur Besichtigung zusammen. Es ist 12:30 und während ich etwas esse, werden wir wieder rangiert. Schwibbe ist losgegangen, um unseren zur Neige gegangenen Brotvorrat zu ergänzen. - Gegenüber ist die Lokomotiv-Bekohlungsanlage. Die Güterwagen mit der Braunkohle werden von Hand entladen, die Arbeiter mit ihren Mützen ohne Schirm erinnern mich an Soldatenbilder aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg. - Mein Ofen hat jetzt auch Dummheiten gemacht, ich habe schon ganz tränende Augen. Die Petroleumzufuhr klappt nicht mehr. Aber nach mehrmaligem Schütteln tut er's wieder.
So, nun werde ich also zum Gullasch Kekse essen, Brot gab's am Bahnhof nicht. Aber da es erst um 16 Uhr weitergehen soll, wollen wir uns noch den Ort ansehen. - Denkste! Daraus wird nichts, unsere Loks werden auseinandergezogen. Immer 1 Lok - 5 Wagen - 1 Lok usw. Anscheinend geht es nach Idomeni ziemlich steil runter, denn nun sind die wenigen Wagen mit Luftbremse auf den ganzen Zug verteilt. Unsere neue Zuglok ist ein alter Renner, eine 1'C 1'-h2 - P 35.14, gebaut 1922 bei Schwarzkopff in Berlin, hier Baureihe 01. Ich besuche den Lokführer, alles ist hier blitzblank und sauber. 15:10 Uhr. Es geht los. Nach Titov-Veles müsste man im Frühling kommen, wenn alles blüht! Zu beiden Seiten des Kesselausgangs kleben und stehen die Häuschen an den Berghängen. Alles ist wesentlich solider und netter gebaut, als ich es bisher gesehen habe. Aber auch hier ist Industrie und man sieht viele moderne Bauten. Durch die abgesonderte Lage des alten Teils zu beiden Seiten vom Fluss fällt das aber garnicht so ins Auge.
Bei den beiden von uns besetzten Loks haben wir die Bremsen wieder eingeschaltet, um zur Not etwas mitbremsen zu können. So sitze ich nun auf dem Führersitz und lasse meine Blicke ringsum schweifen. Das Tal ist zuerst wieder eng und felsig, dann wird auf einmal alles flacher und weiter. Und leider wird es auch so langsam dunkel, so dass ich nichts mehr sehen kann. Mit dem Mond ist auch nichts los, alles liegt unter einer dicken Wolkendecke. Urplötzlich schließt sich das Tal wieder, es wird noch einmal wild und reißend. Zum letzten Mal vermutlich. Überall liegt wieder hohe Schnee. Da reißt mit einem Male die Wolkendecke auf und alles liegt im kalten weißen Mondlicht. Wenn man so ein Bild dann gemalt sehen würde, hieße es: "Kitsch". Das Licht spiegelt sich im Fluss, der wie aus Blei gegossen aussieht. Und schließlich gehen die Berge wieder auseinander, auf der rechten Seite bleibt noch eine Hügelkette, links verschwinden sie im Dunst und nur ganz oben schauen die Gipfel heraus. Wir sind in einer unendlich weit erscheinenden Ebene Vereinzelt stehen Bäume und Sträucher, hie und da blinkt ein Licht, das Ganze mutet an wie eine Steppe. Öfters kreuzen Bäche und überall liegen zu Eis erstarrte Tümpel und Pfützen. Von Schnee keine Spur mehr. Die Strecke verläuft wie eine Allee, zu beiden Seiten stehen hohe Bäume. Dann auf einmal kommen viele Lichter, der Zug bremst und ich passe auf, dass der Zylinderdruck meiner Lok 2 atü nicht übersteigt, sonst könnte sie rutschen und Flachstellen bekommen - Wir sind in Gevgelija, der jugoslawischen Grenzstation. Es ist 18:40 Uhr.
Morgen früh soll's weitergehen. Wir waren gerade in der Bahnhofsbar und haben einen prima Kaffee getrunken. Anschließend sorge ich dafür, dass die Konserven alle werden. Dazu ein jugoslawisches Bier das Münchner war besser! Dann noch etwas geklönt und nun in's Bett. Die letzte Nacht auf der Lok! Bis Saloniki sollen es noch 70 km sein.
11.12. Um halb-sieben wache ich auf und peile die Lage. Auf dem Nebengleis stehen noch 2 Loks! Entweder unsere - oder sollte das schon Kern sein? Ich steige aus und zähle meine über den Zug verstreuten Schäflein. Fünf. Also ist es Kern! Er guckt noch ganz verschlafen drein, als ich ihn wecke. Sein Zug lag immer ein paar Stunden hinter uns, überall waren wir gerade weg. Aber sonst ist er wohlauf. Wir machen uns langsam fertig, die Passkontrolle kommt und um 8:40 geht es schließlich weiter. 10 Minuten, und wir sind in Idomeni, der ersten griechischen Station. Zwischendrin liegt der Grenzfluss und weite Felder. Bei ein paar Weiden entdecke ich gut getarnt in einer Strohhütte einen griechischen Posten, das war alles, kein eiserner Vorhang! Griechische Pass- und Zollkontrolle, dann stehen wir wieder. Die Lok ist weg, es bleibt nichts anderes übrig, als zu warten. Man merkt doch, dass es wärmer geworden ist, zum ersten Mal über 0°. Im Bahnhofsrestaurant trinken wir einen Kaffee, der dick und süß ist. Eine Postkarte für die Daheim-gebliebenen ist auch fällig, die erste seit Salzburg.(Sie kam eine Woche später an, als ich schon lange wieder in,Duisburg war!). Zwischendurch merke ich, dass wir unsere Uhren eine Stunde vorstellen müssen, deshalb war das heute so früh hell! - Endlich kommt die Lok, eine amerikanische 1'D - Maschine mit Ölfeuerung. Und schon geht es los, obwohl die Bremsen noch nicht gefüllt sind. Bremsprobe kennen die hier wohl nicht. Es ist jetzt 12:35 Uhr Ortszeit.
Vorhin habe ich mich zum ersten Mal rasiert, aber für alles hat der Strom der Batterie nicht gereicht, unterhalb des Kinns sprießt es noch. Wir hoffen ja doch, heute in Saloniki im Hotel schlafen zu können. Und zu baden! Bei der Abfahrt fängt es an zu schneien! Aber es bleibt nichts liegen. - Überall stehen grüne Bäume, auch das Gras ist stellenweise ganz saftig. - Wieder geht's in ein Flusstal drüben windet sich ein schmaler Weg am Ufer entlang, auf dem ein Mann seinen Esel buchstäblich abschleppt. Dann kommt eine große Brücke, und wir kommen langsam in flacheres Gelände. Überall sieht man Bauern auf den Feldern und Hirten mit Schafherden. Die Ortschaften liegen weitab. Obwohl auch ärmlich, wirkt doch alles kultivierter als in Jugoslawien. Langsam bevölkert sich die Gegend, Häuser, Gärten, In denen noch der Kohl, Salat, Paprika und Tomaten stehen. Dann kommen Gütergleise, auf denen zu hunderten abgestellte amerikanische Invasionswaggons auf ihre Verschrottung warten. - Rechts tauchen große Schuppen auf, Kräne, Schiffsmasten, zur Linken Hochhäuser und hinten am Berg Villen und Wälder. Thessaloniki. Es ist 15:25 Uhr, als wir im Güterbahnhof stehen. Von Essen bis hierher waren es genau 2329 Kilometer.
Es geht überraschend schnell, da wird der Zug schon auseinandergenommen und unsere Loks auf einem Abstellgleis zusammengestellt. Der Aufsichtsbeamte sagt mir: "Wenn alles klappt, sind sie um 10 Uhr abends im Depot, ich muss nur noch mal telefonieren". - Also wieder warten. Und dabei haben wir uns so auf's Hotel gefreut. Organisiert ist jedenfalls nichts, man wusste nicht einmal, dass wir kommen.
Langsam wird es dunkel. Kern soll um 19 Uhr ankommen, wie mir der Bahnhofsvorstand erklärt, ein freundlicher älterer, typischer Südländer mit Schnurrbärtchen. Ich telefoniere auch mit der Firma Schenker als Transportunternehmer, wie in Salzburg weiß man auch hier zuerst von nichts. Das wird alles von Athen geregelt, heißt es. Und Athen ist weit, 521 km und neuneinhalb Stunden mit der Bahn weg. - Schließlich erklären sie sich dazu bereit, Essen und Athen telegraphisch zu verständigen.
Endlich, kurz vor 20 Uhr kommt der erwartete Zug mit Kern und seinen beiden Loks. Bis auch die auf unserem Gleis stehen und er fertig ist, vergeht eine weitere Stunde. Doch dann gehen wir zum ersten Mal wieder zivilisiert essen, im vollkommen neu gebauten modernen Hauptbahnhof. Anschließend kommt noch ein Bummel durch die Stadt dran und dann kehren wir zu unseren Luftmatratzen zurück, es hat ja doch keinen Zweck, in' s Hotel zu ziehen, solange wir nicht wissen, was wird.
12.12. Um 9 Uhr wache ich auf, draußen ist heller Tag. So spät schon? Da fällt mir ein, dass wir ja gestern die Uhr eine Stunde vorgestellt haben. Bloß lässt sich der Körper nicht so schnell wie eine Uhr umstellen.- Hauptschalter rein und einmal kräftig gepfiffen, da sehe ich in den anderen Loks zwei verschlafene Gestalten auftauchen. Kern macht Frühstück für uns alle, anschließend gehen wir wieder zum Bahnhofsgebäude. Nun heißt es auf einmal, wir sollen noch nach Athen weiterfahren. Am Hauptbahnhof gebe ich ein Telegramm an Krupp auf, wechsle Geld und mache einige Einkäufe. Um 11 Uhr wieder bei den Loks, finde ich die beiden im Arbeitszeug. "Wir müssen sofort abschmieren, 11:30 Uhr geht's weiter!" Aber auch daraus wird nichts, denn als wir um 1 immer noch dastehen, beschließen wir, nun erst mal vernünftig essen zu gehen. Auch am Nachmittag steht noch nichts über eine Weiterfahrt fest, so machen wir im nahen Hafen einen Besuch auf einem norwegischen Schiff, dessen Kapitän uns am Abend vorher eingeladen hatte, und da an Bord viel Alkohol fließt und unsere Loks sowieso kalt sind, bleiben wir gleich bis zum Frühstück dort. - Schön war's!
13.12. Noch immer ist nichts über unsere Zukunft bekannt, nun wird auf einmal alles auf den Zoll geschoben. Erst wenn der die Loks frei gegeben hat, können wir weiterfahren. Und da man sich anscheinend noch nicht darüber klar ist, was man an Zoll bei der eigenen Staatsbahn erheben kann, bleiben wir eben da. Mit Kern mache ich anschließend einen Informationsgang zum Betriebswerk, das einige Loks erhalten soll. Wir suchen lange, aber als wir endlich den dortigen Chef finden, werden wir freundlich empfangen.
Griechischer Kaffee in winzigen Tässchen süß und dick, wird uns vorgesetzt. Nach einigen Telefonaten finden sich drei jüngere Ingenieure ein, die etwas von der Materie verstehen. Zwei der Herren waren auch schon in Deutschland zur Ausbildung. Hier erfahren wir nun endlich, dass alle 7 Loks hier bleiben sollen. Somit sind Schwibbe und ich entlassen, wir legen unsere Abreise auf Freitag fest. Am Nachmittag suchen wir uns in der Stadt ein Hotel, es ist so warm dass die Mäntel auf der Lok bleiben. Anschließend werden die Sachen auf den Loks verpackt und mit einem Taxi in die Zivilisation umgezogen. Langsam wurde es aber auch Zeit!
14.12. Nach dem Frühstück besorgen wir uns unsere Fahrkarten, unser Zug geht um 17:14 Uhr. Anschließend geht's zu den Loks, um unsere Öfen zu verpacken, die als Reisegepäck wieder mit zurück sollen. Was wird der Zoll sagen? Aber es geht besser, als wir denken. Zwar muss Kern sein Italienisch und ich mein Französisch auspacken um zu erklären, was wir wollen, dann hellen sich jedoch die Beamtenmienen auf und wir können die Öfen aufgeben. - Viel Zeit bleibt nach dem Essen nicht mehr, die Koffer sind gepackt, dann geht's zum Bahnhof.
Dort Himmel und Menschen! Sämtliche Griechen scheinen ihre Verwandten in Deutschland zu Weihnachten besuchen zu wollen! Die beiden Wagen nach Köln sehen bald aus wie ein Flüchtlingstransport. Selbst in den Gängen stapelt man Koffer, Kisten und Pakete. Man zieht aus mit Kind und Kegel! Und wir um in einen leeren Wagen nach Wien, auch wenn wir dann morgen in Laibach wieder umsteigen müssen. An der Grenze hat der Zug bereits anderthalb Stunden Verspätung, doch zum Glück lassen sich die Sitze ausziehen, und wir können schlafen.
15.12. Irgendwo ist der Zug voll geworden, doch hat Schwibbe einen anderen leeren Wagen ausfindig gemacht, der zwar bloß bis Belgrad geht, doch können wir wenigstens weiterschlafen. Dort sind es schon zweieinhalb Stunden Verspätung, als wir abfahren. Unser jetziger Wagen geht bis München. Mit einem jungen Jugoslawen, der sehr gut deutsch spricht, unterhalte ich mich längere Zeit über Land und Leute, als jedoch das Abteil voller wird, verstummt das Gespräch. Mittags essen wir sehr gut im jugoslawischen Speisewagen, wir müssen dazu durch die beiden Wagen nach Köln und sind froh, umgezogen zu sein. Über allem liegt ein unbeschreiblicher Geruch! In Jesenice haben wir noch genau so viel Verspätung wie am Morgen, bis Villach wird es auch nicht weniger. Hier ist der Hauptzugteil pünktlich losgefahren, aus unseren vier Wagen wird ein Sonderzug gemacht. Von Spittal bis Schwarzach-St.Veith fahre ich nochmal auf der Lok mit, einer 1145 der ÖBB. Es ist ein besonderes Erlebnis, die Arlbergstrecke bei diesem tiefen Schnee mit der Lok zu fahren. Hier und da stehen Weihnachtsbäume, und aus dem Tal blinken die Lichter der Ortschaften. Noch einmal steigen wir um, in Salzburg. Der Schlafwagen ist leider weg, aber auf den ausgezogenen Sitzen liegt es sich auch nicht schlecht.
16.12. Am frühen Morgen kommen wir in Köln an, immer noch als Sonderzug mit 4 Wagen. Zweieinhalb Stunden Verspätung, in München waren es noch über 3! Ein letztes Umsteigen, dann bin ich um 10:38 zu Hause in Duisburg.
Viel länger hätte die Reise auch nicht dauern dürfen, heute ist Sonntag, am Freitag werde ich dem Junggesellenleben Ade sagen und heiraten. - Dabei hatte die ganze Verwandtschaft meiner Braut schon was von Ferntrauung erzählt!